Der Geruch von Blut by Tom Piccirilli

Der Geruch von Blut by Tom Piccirilli

Autor:Tom Piccirilli
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Heyne
veröffentlicht: 2010-12-16T05:00:00+00:00


Bevor Finn sich entscheiden kann, ob Murphy ihn verarscht oder nicht, kommt Judith herein. Die Stimmung im Raum kühlt sofort ab. Die Mädchen werden unruhig, sie erwarten eine Strafpredigt und sind nicht sicher, ob Finn und Murphy hinter ihnen stehen.

Von jetzt an müssen sie aufpassen, was sie sagen. Wie sie sich bewegen, wie laut sie lachen, wie ihr Atem riecht. Sally und Suzy Smyth lehnen an der gegenüberliegenden Wand, neben dem Fenster. Er spürt ihre Anspannung.

Murphy leckt sich über die Lippen und trinkt den letzten Schluck Whiskey. So wie jeder Mann, der noch schnell sein Glas austrinkt, bevor er sich zu seiner Frau umdreht, seiner Freundin, dem Mädchen, das er letztes Wochenende nicht angerufen hat.

»Scheiße«, flüstert er.

Finn glaubt auf einmal, dass der Körper, den er in Murphys Wohnung fallen gehört hat, wahrscheinlich Judith war, die aus dem Bett gerollt ist.

Murphy fragt: »Judith, meine Liebe, möchtest du vielleicht ein Glas erfrischenden Eierlikör?«

»Das wäre wunderbar, Roddy«, erwidert sie, und zu Finns Überraschung klingt sie fast freundlich, als wären sie ein frisch verheiratetes Ehepaar. Murphy setzt sich in Bewegung, wird aber von Jesse aufgehalten, die vor kurzem Dubliner gelesen hat und wissen will, ob er unter ähnlichen Umständen wie Joyce und seine Figuren aufgewachsen ist. Murphy ergeht sich in einer kurzen Tirade darüber, dass Joyce sowohl Irlands ganzer Stolz als auch der größte Klugscheißer überhaupt sei, dieses Arschgesicht.

Aus Judiths Mund strömt der Geruch von Pfefferminz und Menthol. Sie hat die letzten Stunden Kette geraucht. Er sieht seine Mutter rauchen, etwas, das sie ihr Leben lang nicht getan hat. Wie sie sich in Pose wirft, routiniert den Filter zwischen den Lippen hält und versucht, glamourös wie ein Filmstar auszusehen.

Er geht auf Judith zu, auf seine Mutter.

»Was starrst du mich so an?«, fragt sie ihn.

»Tue ich das?«

»Ach, komm.«

»Hast du Roz gesehen?«

»Nicht in den letzten Stunden.«

»Sie ist zu einem Laden gefahren, und ich glaube nicht, dass sie schon zurück ist.«

»Hat sie nicht angerufen?«

»Ich habe kein Handy.«

»Hast du bei dir zu Hause nachgesehen?«

»Warum sollte sie dort sein?«

»Ich hab keine Ahnung.«

Nein, dort hatte er nicht nachgesehen. Aber Roz würde nach dem Schneesturm nicht direkt zu ihm fahren, ohne hier haltzumachen.

Judith knetet sich die Lippen. »Es ist dunkel draußen, und es schneit, aber es besteht kein Grund, sich Sorgen zu machen.«

Er hört ein unausgesprochenes noch heraus.

»Finn?«

»Was?«

»Hast du mir zugehört?«

»Natürlich hab ich das.«

»Es geht ihr gut. Du reagierst übertrieben.«

Das muss ausgerechnet sie sagen.

»Du starrst mich immer noch an.«

»Bereust du es, dich nicht aus dem Staub gemacht zu haben, als noch Zeit dazu war?«

»Keineswegs«, antwortet sie ungerührt. »Wenigstens haben wir einen Baum hier. Und offenbar auch etwas zu trinken. Ich kann es riechen, und alle tun so, als wäre nichts. Muss ich jetzt unter den Kissen nach den Flaschen suchen?«

»Du kannst ruhig mal ein Auge zudrücken. Alle sind ganz brav.«

»Du sagst das, als wäre damit alles in Ordnung. Und was ist los, wenn die Eltern dahinterkommen?«

»Eltern kommen nie hinter irgendwas. Sie wissen nur, was sie wissen wollen.«

Die Worte sind an seine Mutter gerichtet, die nie wissen wollte, was er nachts trieb.

»Manchmal beunruhigst du mich, Finn.



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